Reinhard Führer
Und alle Toten haben Verwandte…
Zwei verheerende Weltkriege haben im 20. Jahrhundert nicht nur katastrophale Zerstörungen, sondern auch Hunderttausende Gräber von Opfern dieser Kriege hinterlassen. Das erbarmungslose Räderwerk des Krieges machte selbst vor Frauen und Kindern, vor hilflosen Alten nicht Halt. Ganz besonders tragisch verlief das Schicksal der Kriegsgefangenen. Millionen von ihnen fanden ihre letzte Ruhestatt in fremder Erde. Dies gilt auch für Angehörige der Roten Armee. Sie fielen nicht nur zu Millionen auf fremdem Boden, sondern kamen auch zu Millionen in deutscher Kriegsgefangenschaft zu Tode. Die im Kampf gefallenen Rotarmisten wurden nicht in der Familiengruft, nicht auf dem heimatlichen Kirchen- oder Gemeindefriedhof beigesetzt, sondern häufig in aller Eile am Rande des Schlachtfeldes in einem der unzähligen kleinen Dörfer begraben,an denen die Armeen vorbeizogen. Auch die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden in der Regel nicht in Einzelgräbern, sondern zumeist in großen Massengräbern begraben. Es kann heute in vielen Fällen nur noch in mühseliger Kleinarbeit anhand von alten Dokumenten herausgefunden werden, wo seinerzeit überall Grabstätten angelegt worden waren und wer dort vermutlich seine letzte Ruhestatt fand. Die jahrzehntelange Konfrontationspolitik in Europa, der Kalte Krieg, hat nicht nur die Kriegsgeneration der Möglichkeit beraubt, an den Gräbern ihrer Angehörigen zu trauern. Auch für die heutige Generation der ehemaligen Sowjetunion ist es nach wie vor schwierig, Grabstätten sowjetischer Bürger aus dem Zweiten Weltkrieg zu finden und am konkreten Ort der Toten zu gedenken. Gräber von Rotarmisten, die im Kampf gegen die Wehrmacht fielen, liegen über viele europäische Staaten verstreut. Auch die Gräber sowjetischer Kriegsgefangener, die von Deutschland häufig zum Arbeitseinsatz unter härtesten Bedingungen eingesetzt waren, befinden sich nicht nur auf deutschen Friedhöfen. Die sowjetischen Kriegsgefangenen erlitten ein in zweifacher Hinsicht tragisches Schicksal: Erst vom NS-Regime zu einem Leben unter menschenunwürdigen Bedingungen gezwungen, litten sie nach ihrer Befreiung aus den deutschen Lagern unter der Verfolgung von Seiten des Stalin-Regimes. Viele von ihnen wurden in sowjetische Lager verbracht und die meisten davon überlebten die erneuten Strapazen nicht. Die Angehörigen der in den Lagern verstorbenen Kriegsgefangenen erhielten nach dem Krieg eine entsprechende Mitteilung. Diese enthielt jedoch in den meisten Fällen keine genauen Angaben über den Bestattungsort und die Lage des Grabes. Es war für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge daher selbstverständlich und gehört zu seinem humanitären Ethos, auch diese Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in seine Arbeit einzubeziehen. Zumal der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge seit den 90-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis heute zusammen mit seinen Partnern in Deutschland und Osteuropa eine gewaltige Arbeit leisten konnte, um vorhandene Friedhöfe für deutsche Gefallene und Tote zu rekonstruieren, aber auch neue anzulegen. Vielfach handelt es sich dabei in der ehemaligen Sowjetunion um Sammelfriedhöfe, auf die all jene gefallenen deutschen Soldaten aus der Umgebung umgebettet werden, deren Grabstellen man ermitteln konnte. Das betrifft zum Beispiel den Sammelfriedhof „Rossoschka“, aber auch die Sammelfriedhöfe bei Rshew und Kursk. Auch dort beteiligt sich der Volksbund aktiv an der Rekonstruktion und dem Bau von Gedenkstätten in Erinnerung an die sowjetischen Soldaten und zivilen Kriegsopfer. In Deutschland hat der Volksbund ein wachsames Auge auf den Zustand der hier vorhandenen sowjetischen Kriegsgräberstätten, obwohl dies nicht in seine unmittelbare Kompetenz gehört. Ebenso beteiligte sich der Volksbund von Anfang an an der Erforschung des Schicksals sowjetischer Kriegsgefangener, seit dies ab dem Ende der 90-er Jahre durch die Öffnung der postsowjetischen Archive im Rahmen eines durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten durchgeführten Projektes möglich war. In den letzten Jahren wurde hierbei nun ein neues Stadium erreicht. Seit Mitte 2005 arbeitet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gemeinsam mit der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten auch an der Ermittlung der Namen sämtlicher, auf Friedhöfen in Deutschland begrabener sowjetischer Bürger. Das hier vorgelegte Friedhofsbuch für den sächsischen Bereich ist ein Beleg für die Arbeit, die inzwischen geleistet worden ist. Bald werden die Ergebnisse dieser Arbeit im Internet abrufbar sein. Die geplante Website über die einzelnen Friedhöfe und die dort bestatteten Menschen wird ständig erweitert und ergänzt werden. Wir hoffen, dass schon in naher Zukunft, in Bezug auf sowjetische Kriegsgräberstätten in ganz Deutschland, Hunderttausende Familien die Möglichkeit haben werden, auf diesem Wege mehr über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren.
Reinhard Führer, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge