Dr. Klaus-Dieter Müller
Für die Lebenden – im Andenken an die Toten
Acht Jahre sind vergangen, seit im Auftrag und mit Unterstützung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation im Jahre 2000 mit der Untersuchung der Schicksale sowjetischer Kriegsgefangener begonnen wurde. Umfassend gefördert durch die Mitglieder der Kommission zur Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen, erhielt dieses Projekt im Jahre 2004 seine endgültige Bezeichnung und thematische Festsetzung „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit“. Dieses Projekt trägt ebenso wie sämtliche, im Rahmen des Projektes laufende Arbeiten in erster Linie humanitären Charakter und dient dazu auch der wissenschaftlichen Aufklärung über das Schicksal von Kriegsgefangenen. Bislang sind im Ergebnis der Projektarbeiten sieben Publikationen erschienen. Darin sind die Ziele und Aufgaben des Projektes sowie die Arten der für die Erstellung der Datenbank verwendeten Archivdokumente bereits ausführlich beschrieben worden. Mittlerweile hat sich gleichermaßen der Kreis der an den Projektarbeiten beteiligten Partner erheblich ausgeweitet. Neben staatlichen Institutionen und Ministerien aus der Russischen Föderation beteiligen sich gegenwärtig auch die entsprechenden Instanzen der Republik Belarus und der Ukraine an diesem weitreichenden Projekt. In Anbetracht des riesigen Territoriums der ehemaligen Sowjetunion ist uns bewusst, dass nicht in allen ehemaligen Unionsrepubliken und schon gar nicht in jeder einzelnen Region des großen Landes die Menschen gleichermaßen über die Ergebnisse unserer Projektarbeit in Kenntnis gesetzt werden konnten. So ist vielen nicht bekannt, dass in den acht zurückliegenden Jahren die Schicksale von mehr als 550 000 sowjetischen Kriegsgefangenen aufgeklärt werden konnten. Hunderte von persönlichen Anfragen werden seitdem jährlich an die Stiftung gerichtet, und es ist uns eine besondere Genugtuung, diese zumeist auch umfassend beantworten zu können – eben für die Lebenden (Hinterbliebenen). Im Jahr 2004 haben wir zudem begonnen, Informationen über Kriegsgefangene aus einzelnen Gebieten der ehemaligen UdSSR zielgerichtet an staatliche Behörden und gesellschaftliche Organisationen der betreffenden Regionen weiterzuleiten, die von diesen dann über die Medien den betroffenen Familien zugänglich gemacht werden. Bisher wurden die folgenden Regionen auf diese Weise informiert: die Gebiete Twer (Kalinin), Kursk, Mogiljow, Kiew, Tscheljabinsk, Witebsk und Smolensk sowie die Republiken Kalmykien, Mari El und Tatarstan. Im Jahr 2008 haben wir die digitalisierten Informationen über sowjetische Kriegsgefangene kasachischer bzw. usbekischer Nationalität sowie über jene, die aus bestimmten Städten in dieser Region, z.B. aus Almaty oder Taschkent, stammten, an die zuständigen Stellen in Kasachstan und Usbekistan übergeben. Seit dem Jahr 2007 leiten wir zudem die ermittelten Informationen über verstorbene sowjetische Kriegsgefangene an das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation weiter, das diese Angaben im Internet unter www.obd-memorial.ru veröffentlicht. Die Anstrengungen, die die deutsche Seite unternimmt, um die Schicksale sowjetischer Bürger aufzuklären, bleiben nicht unbemerkt. Auch in den Nachfolgestaaten der UdSSR weiß man zunehmend mehr über diese Tätigkeit. Immer mehr Angehörige haben nun die Möglichkeit, ihren Toten an deren fernem Grab die letzte Ehre zu erweisen. So kam es am 22. September 2008 in Zeithain zu einer bewegenden Begegnung. Erstmals nach 65 Jahren, genau am Todestag ihres Vaters, kam die Moskauerin Larissa Nowikowa nach Deutschland, um ein Stück Heimaterde an die Grabstätte zu bringen (2) und einen Kranz am Ehrenmal auf dem Friedhof Zeithain III (Flur Kreinitz) niederzulegen (3). So hat nun für die Familie die lange Zeit fast aussichtslos geglaubte Suche ein Ende gefunden. Über das Internet sind gegenwärtig außerdem Aufstellungen über die im Lager Hammelburg (www.hammelburg.ru) bzw. Zeithain (www.stsg.de) verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen abrufbar. Diese Listen sind zwar noch nicht vollständig, denn die Aufarbeitung der Kriegsgefangenenakten ist noch nicht abgeschlossen. Jährlich wächst die Datenbank immerhin um mehr als 80 000 Einträge. Eine solche Sammlung von Daten ist nur sinnvoll, wenn diese Quellen auch gesichert und nachhaltig genutzt werden können, und wenn bekannt ist, dass sie existieren und Auskunft gegeben werden kann. Wir sind deshalb seit längerer Zeit schon in Gesprächen mit der Bundesregierung darüber, wie dies auch langfristig sicherzustellen ist. Seit das Projekt zur Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener umfangreiche Früchte trägt, nimmt auch die Nachfrage nach Information zu. Insbesondere geht es um Informationen zu den letzten Ruhestätten dieser Verstorbenen. Mit Hilfe eines engen Netzwerkes deutscher Institutionen und unter Nutzung deutscher Friedhofsangaben ist es möglich geworden, ganze Friedhöfe mit bislang unbekannt Bestatteten wieder mit den Namen der dort Begrabenen zu kennzeichnen. Es war daher auch nur konsequent, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, um – am Beispiel unseres eigenen Bundeslandes Sachsen – auch die Grabstätten sowjetischer Toter in ihrem aktuellen Zustand zu dokumentieren. Das Interesse daran, gerade bei Angehörigen, die nicht nach Deutschland reisen können, ist riesig. Es ist mir deshalb eine besondere Freude, neben den bisherigen Projektförderern des Bundes auch dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für seine Unterstützung zur Herausgabe dieses Friedhofsbuches zu danken. Mehr noch: ausgehend vom erfolgreichen Abschluss unseres Pilotprojektes, wird die Arbeit im Auftrag der Bundesregierung in Kürze auf alle Toten des Zweiten Weltkriegs sowie der Nachkriegszeit ausgeweitet werden können, soweit diese auf Grabstätten in Deutschland begraben sind, für die nach deutscher Gesetzgebung dauerndes Ruherecht gilt. Die vorliegende Publikation ist daher so etwas wie eine Pilotstudie, die zeigt, was mithilfe inzwischen zugänglicher Quellen erforscht und dokumentiert werden kann. Zukünftig ist geplant, nicht nur sowjetische Grabstätten in allen Teilen Deutschlands zu dokumentieren, sondern auch – neben deutschen Opfern des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit – alle anderen Gruppen, wie ausländische Kriegsgefangene, ausländische Soldaten, mit aufzunehmen. Die Stiftung und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge tun dies, im Auftrag der Bundesregierung, in dem Bewusstsein, dass wir dies den Hinterbliebenen der genannten Gruppen schuldig sind, solange hierfür noch Quellen zur Verfügung stehen. Kriegsgräber, Gräber der Opfer von Gewaltherrschaft, sind überzeugende Mahnung für uns, Frieden zu halten und jedem Anzeichen von Krieg und Gewalt entgegenzutreten.
Dresden, im Oktober 2008 Dr. Klaus-Dieter Müller, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten