Klaus-Dieter Müller | Alexander N. Haritonow
Neue Spuren bei der Suche nach Vermissten des Zweiten Weltkrieges
In vielen Ländern gilt es als ungeschriebenes Gesetz und eine gute Tradition, die Ergebnisse historischer Forschungen, die Ergebnis monate-, manchmal auch jahrelanger intensiver Arbeit sind, anlässlich besonderer Ereignisse oder Jubiläen der Öffentlichkeit zu präsentieren. Für das Buch, das Sie in der Hand halten, hätten wir zum Beispiel den Beginn der schrecklichen Tragödie für Millionen von Familien in vielen Ländern zum Ausgangspunkt nehmen können. Doch in den schwierigen und tragischen Verwicklungen der Geschichte der 30-er und 40-er Jahre des 20. Jahrhunderts wäre dies nicht so einfach zu bewerkstelligen, erst recht nicht in Bezug auf das tragische Schicksal der Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion. In welchem Jahr, an welchem Tag war das Schicksal dieser Menschen besiegelt, was in eine Katastrophe für zunächst Hunderte, später dann Tausende und schließlich Millionen von Familien geführt hat? Am Machtantritt Hitlers? Am Tag des Über falls Deutschlands auf Polen? Am Beginn des Krieges in Westeuropa oder gegen die UdSSR? Der Zweite Weltkrieg begann mit dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschland auf Polen. Bereits auf polnischem Boden gerieten Ukrainer, Weißrussen, Russen, aber auch Deutsche in die Hände von Wehrmacht oder Gestapo, die aus ihren Heimatländern hierher geflohen waren. Bis zum Dezember 1941 wurde ein riesiges Territorium der UdSSR von Lwow bis Moskau durch Truppen der Wehrmacht besetzt und viele Menschen, die in den nunmehr okkupierten Gebieten in den 30-er Jahren Zuflucht gesucht hatten, fielen ebenfalls in die Hände von Wehrmacht, SS und Gestapo. Der Buchtitel „Grabstätten sowjetischer Bürger...“ birgt darüber hinaus in sich eine gewisse Unklarheit, denn bis heute gibt es noch keine eindeutige Aussage zur Staatsbürgerschaft jener Opfer, die in den nach der Teilung Polens im Jahre 1939 an die UdSSR gegangenen Gebieten lebten.
Schwierigkeiten bereitet nicht nur die Bestimmung der Staatsangehörigkeit der Begrabenen, sondern auch ihrer Nationalität. Die politische Führung des nationalsozialistischen Deutschland und die Wehrmacht verfolgten eine Politik, die unter dem seit dem alten Rom bekannten Leitspruch «Teile und herrsche» bekannt ist. Während Menschen der einen Nationalität in den besetzten Gebieten und den überall eingerichteten Lagern gemäß der Genfer Konvention behandelt wurden, ging man gegen Vertreter anderer Nationalitäten mit ausgesprochener Härte, um nicht zu sagen Grausamkeit, vor. So entschied die Angabe von Nationalität, Religion, sozialer Herkunft und Beruf eines Menschen oftmals über die Haftbedingungen in der Gefangenschaft oder gar über Leben und Tod. Deshalb kann es keinem Menschen verübelt werden, wenn er bei der Gefangennahme vielleicht nicht seinen richtigen Namen oder eine falsche Nationalität angegeben hat. Verstarb er jedoch im Lager, so können wir uns heute bei der Klärung seines Schicksals in der Regel nur auf die Angaben – den Namen, die Nationalität, die Heimatadresse vor der Einberufung in die Armee – stützen, die bei seiner Registrierung durch die Wehrmacht in die Kriegsgefangenenakte eingetragen wurden. Auf den Friedhöfen im Freistaat Sachsen ruhen nicht nur Kriegsgefangene der Roten Armee oder „Ostarbeiter“, sondern auch Angehörige der Roten Armee, die in den Kämpfen bis Mai 1945 fielen, die erst nach der deutschen Kapitulation ihren Verwundungen erlagen oder die in der Nachkriegszeit durch Unfälle ums Leben kamen. Über letztere, ihrerseits Angehörige der aktiven Armee, wurden von der Führung der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland nicht immer exakte Informationen an die deutschen Behörden, denen die Betreuung der Friedhöfe oblag, weitergegeben. So ist es nicht verwunderlich, dass die in deutschen Archiven abgelegten Listen, die die Grundlage für diese Publikation bildeten, nicht ganz vollständig sind. Daher stützten wir uns bei unserer Arbeit vorrangig auf Unterlagen, die uns vom Militärhistorischen Gedenkzentrum der Streitkräfte der Russischen Föderation zur Verfügung gestellt wurden. Auch in Zukunft werden wir bei der Ermittlung der Identität sowjetischer Soldaten und Offiziere, die auf deutschen Friedhöfen ihre letzte Ruhestatt fanden, praktisch vollständig abhängig sein von den militärischen Informationen der damaligen Zeit, die in verschiedenen Archiven der Russischen Föderation lagern.
Demgegenüber haben wir bei der Klärung der Schicksale sowjetischer Kriegsgefangener in erster Linie Dokumente der ehemaligen Wehrmachtauskunftsstelle (WASt), heute Deutsche Dienststelle mit Sitz in Berlin, verwendet. Dort wurden Millionen Personalkarten sowjetischer Kriegsgefangener aus den Jahren 1941 bis 1945 verwahrt. Die Angaben über jeden einzelnen sowjetischen Kriegsgefangenen im Gewahrsam der Wehrmacht, wo immer er sich auch befand – in einem Arbeitskommando, einem Lazarett oder bei Verlegung in ein anderes Lager in den besetzten Gebieten oder im Reichsgebiet – wurden auf speziellen Karteikarten vermerkt, die die Person überallhin begleiteten. Starb ein Kriegsgefangener, so wurden diese Karteikarten befehlsgemäß an die WASt gesandt. 1943, als sich die Luftangriffe der Alliierten auf Berlin verstärkten, brachte man die Unterlagen der WASt nach Meiningen (Thüringen), wo sie bei Kriegsende in die Hände der Amerikaner fielen. Die von diesen ausgesonderten, sowjetische Bürger betreffenden Unterlagen wurden Vertretern der Roten Armee übergeben und befinden sich seit der Nachkriegszeit im Zentralarchiv des Verteidigungsministe riums der Russischen Föderation (ZAMO). Doch auch heute noch ist in der Deutschen Dienststelle in Berlin ein Teil der Berichte von Wehrkreiskommandos der Wehrmacht über Todesfälle unter Kriegsgefangenen erhalten geblieben. In Russland, Weißrussland und der Ukraine sind die Archivunterlagen über sowjetische Kriegsgefangene seit der Öffnung der Archive und der Überführung vieler Bestände in den offenen Bereich für Forschungszwecke zugänglich. Die Suche nach diesen Dokumenten und ihre elektronische Erfassung sind Gegenstand und Hauptaufgabe des Projekts „Sowjetische Kriegsgefangene“2. Wir sind bemüht, möglichst alle Unterlagen in unsere Arbeit einzubeziehen, die in irgendeiner Weise geeignet sind, zur Schicksalsklärung beizutragen: Finanzabrechnungen aus Deutschland, Berichte von Baufirmen, aber auch Unterlagen der so genannten Filtrationslager, die die meisten der überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen bei ihrer Rückkehr in die Heimat durchlaufen mussten. In der WASt wurden hauptsächlich folgende Dokumentarten archiviert:
Personalkarte 1 – sie wurde für jeden Kriegsgefangenen angelegt, der in ein Lager auf dem Territorium des Deutschen Reiches kam, und umfasst in der Regel folgende Informationen: Name, Vorname, Vatersname, Geburtsjahr und -ort, Anschrift von Angehörigen für den Briefwechsel, Datum und Ort der Gefangennahme, Verlegung von einem Lager in ein anderes, Krankheiten, Sterbedatum und häufig auch den Begräbnisort. Oft befindet sich auf den Karteikarten auch eine Fotografie des Betreffenden. Bei der Verlegung in ein anderes Lager wurde diese Karte ebenfalls weitergegeben.
Personalkarte 2 – auf ihr wurden detailliert Arbeitsorte und Verdienst festgehalten.
Grüne Registraturkarte – darauf wurde jede Verlegung von einem Lager in ein anderes zur Mitteilung an die WASt festgehalten, diese Registraturkarten waren jeweils an ein bestimmtes Lager gebunden.
Lazarettkarte – hier wurde eingetragen, in welchem Lazarett der Kriegsgefangene behandelt wurde. Darüber hinaus findet man hier Angaben zur Krankengeschichte. Im Todesfall wurden die Todesursache und der Begräbnisort vermerkt.
Sterbefallnachweis und Grabkarte – sie enthält Angaben zu dem Ort, an dem der Mensch verstorben ist, zur Todesursache, dem Friedhof und der Grablage. Die hier aufgeführten Unterlagen wurden für jeden einzelnen Kriegsgefangenen angelegt und sollten gewissenhaft geführt werden. In der Praxis konnte dies jedoch nicht immer in vollem Umfang realisiert werden, so dass auf einer ganzen Reihe von Karteikarten nur unvollständige Angaben zu finden sind. Als zusätzliche Quellen haben wir Berichte der Wehrkreiskommandos verwendet, die für die einzelnen Lager zuständig gewesen sind, sowie Unterlagen der Lager selbst. Neben den persönlichen Daten der einzelnen Kriegsgefangenen findet man darin u. a. das Datum der Aufnahme in das Lager bzw. der Verlegung in ein anderes.
Für verstorbene Kriegsgefangene wurden Todesursache, Sterbedatum, Ort und Datum der Bestattung festgehalten. Wenn die der sowjetischen Seite zugänglichen deutschen Dokumente keinen Eintrag über den Tod eines Menschen enthielten und die Person nicht in den Listen der Filtrationslager verzeichnet war, setzte man in der UdSSR die Suche nach ihrem Verbleib fort. Deshalb haben die sowjetischen Behörden nach 1945 häufig die Kriegsgefangenenakten aufgeteilt, einzelne Dokumente daraus entnommen. Diese wurden dann in verschiedenen Archiven auf dem gesamten Territorium der ehemaligen UdSSR abgelegt, so zum Beispiel am Wohnort der Angehörigen des Kriegsgefangenen oder dem Ort seiner Einberufung. Wir sind bestrebt, in unserer Arbeit auch diese Unterlagen zur Schicksalsklärung heranzuziehen.
Bei der Erstellung der Datenbank, die dieser Publikation beiliegt, wurden natürlich auch Unterlagen aus den örtlichen deutschen Archiven verwendet. Nicht allen ist bekannt, dass die sowjetischen Besatzungsbehörden im Herbst 1945 begonnen hatten, gemeinsam mit der deutschen Polizei und den Organen der örtlichen Selbstverwaltung alle Bürger der UdSSR und anderer Staaten zu erfassen, die sich zu dem Zeitpunkt noch in Deutschland aufhielten (auch in den westlichen Besatzungszonen wurde dies auf Befehl der dortigen Militärregierungen ähnlich gehandhabt). Im Zuge dieser Arbeit wurden Listen erstellt, die neben den Namen auch Angaben über Nationalität, Staatsangehörigkeit, Geburtsjahr und Wohnort zum Zeitpunkt der Erfassung enthielten. Auf der Grundlage der Befehle Nr. 163 (vom 7.12.1945), Nr. 184 (vom 30.12.1945) und Nr. 89 (vom März 1946) der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) begannen die SMAD-Behörden Ende 1945, gemeinsam mit den deutschen Selbstverwaltungsorganen die Schicksale von Bürgern der vereinten Nationen und der UdSSR zu klären, Festlegungen zur Pflege von Friedhöfen und Einzelgräbern zu treffen und auch die Umbettungen von Verstorbenen in Angriff zu nehmen. Bereits im Januar 1946 lagen der SMAD detaillierte Listen von Bürgern nichtdeutscher Nationalität vor: von aus ihrer Heimat nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeitern, den so genannten „Ostarbeitern“, sowie auch von Kriegsgefangenen, die von den deutschen Arbeitsämtern zum Arbeitseinsatz in Industrie und Landwirtschaft überstellt worden waren. Die Listen wurden auf der Basis von Standard-Fragebögen Typ A bzw. B erstellt.
Fragebogen Typ A: Hier wurden mit Angabe von Anschrift und Art der Geschäftstätigkeit sämtliche Betriebe, Firmen oder Einzelwirtschaften erfasst, die ausländische Arbeiter beschäftigten.
Fragebogen Typ B: Hier wurden die Personen selbst erfasst, und zwar mit folgenden Angaben: Name, Vorname, Vatersname, Nationalität, Tätigkeit, Arbeitsstelle, Zeitraum der Beschäftigung, Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Erfassung.3 Die anfänglich von der deutschen Polizei aufgedeckten Mängel beim Ausfüllen dieser Fragebögen unter Berufung darauf, dass angeblich viele Unterlagen vernichtet bzw. nicht mehr auffindbar seien und es demzufolge unmöglich sei, genaue Angaben zu allen beschäftigten Personen zu machen, wurden als Ausrede betrachtet. Die nachdrückliche Forderung der Polizei nach absolut exakten Daten verpflichtete die örtlichen deutschen Behörden, auch sämtliche Deutsche zu befragen, die Kontakt zu Ostarbeitern gehabt hatten. Die ortsansässigen Ärzte erhielten die Auflage, vollständige Listen sämtlicher Ostarbeiter und Kriegsgefangener zu erstellen, die bei ihnen in Behandlung gewesen waren. Später wurden diese Aufstellungen der Ärzte zusammen mit den ausgefüllten Fragebögen vom Typ A und B an die SMAD-Behörden übergeben. Anhand dieser Listen können wir heute noch genau sagen, ob der eine oder andere kranke Ostarbeiter oder Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen worden war oder nicht. Zusätzlich zum Namen gaben die Ärzte stets auch die Registraturnummer des Kriegsgefangenen und das betreffende Stalag an – schließlich schickten sie die Rechnungen über ihre Behandlungskosten an die jeweiligen Lagerverwaltungen. Diese Informationen erlauben uns heute, weitere Einzelschicksale aufzuklären und die Gesamtzahl der Insassen eines Lagers wesentlich exakter zu bestimmen. Allerdings ist es bei der Beurteilung solcher Daten außerordentlich wichtig, die bürokratischen Vorschriften der Wehrmacht für jedes einzelne Lager genau zu kennen. Im Februar 1946 wurden die Betriebe und Arbeitsämter in Ergänzung zum Befehl Nr. 163 verpflichtet, auch die Arbeitsbücher der Ostarbeiter bzw. Auszüge daraus, Belege über Steuerzahlungen, Lohnquittungen und, falls dem Betreffenden Invalidität bescheinigt wurde, so auch den Invaliditätsausweis einzureichen.4 Die Befragungen deutscher Bürger über Ostarbeiter waren fortan zu protokollieren. Man könnte die Reihe der Beispiele für die vielen Forderungen hinsichtlich der Erfassung von Ostarbeitern noch beliebig fortsetzen. Sie alle unterstreichen eines: Die Vertreter der SMAD erhielten damals zeitnah und teilweise in mehrfacher Ausführung alle nur erdenklichen Angaben zu diesem Personenkreis. Der bereits erwähnte Befehl Nr. 163 verpflichtete die deutschen Behörden, ebenso detailliert sämtliche Grabstätten von Bürgern der UdSSR auf deutschem Boden zu erfassen. Für verstorbene Ostarbeiter und deren Kinder sowie für verstorbene Kriegsgefangene aus Arbeitskommandos wurden nicht nur allgemeine Listen erstellt, sondern individuelle, von offizieller deutscher Stelle beglaubigte Sterbebescheinigungen ausgestellt. Darin waren folgende Angaben obligatorisch enthalten: Name, Vorname, Vatersname, Geburtsjahr, Wohnort oder Lagernummer, Todesursache, Todeszeitpunkt, Begräbnisort und Grablage auf dem Friedhof.5 Diese Forderungen wurden im Wesentlichen bereits im Februar 1946 erfüllt. Die heute noch in deutschen Archiven vorhandenen einzelnen Kopien solcher an die Kommandanturen eingereichter Listen zeigen, dass zu den bestatteten Kriegsgefangenen ebenfalls standardisierte Angaben gemacht wurden, zum Beispiel: Kudrov, Nikolaj, Lager-Identifikationsnummer 147490, verstorben am 8.12.1941, begraben auf dem russischen Friedhof der Gemeinde Demitz-Thumitz. Heute verfügen wir über eine auf der Grundlage der deutschen Lager-Registraturkarten und weiterer Quellen erstellte Computerdatenbank mit umfangreichen Angaben zu jeder ermittelten Person. Wie bereits erwähnt, wurde in der Regel zu jedem Befehl der SMAD eine entsprechende Anweisung der Abteilung 10 der deutschen örtlichen Polizeibehörden erlassen, die zumeist die geforderten Inhalte in einer noch wesentlich kategorischeren Form unter Androhung strenger und unerbittlicher Kontrollen formulierte. In ihrer praktischen Tätigkeit ließen sich die Militärkommandanten der einzelnen Kreise in manchen Fragen allerdings auch von ihrem eigenen Empfinden leiten, so dass zentrale Befehle in unterschiedlicher Weise umgesetzt wurden. In Bautzen zum Beispiel wurde 1945 jede einzelne Grabstätte erhalten. In Freiberg dagegen verpflichtete der Militärkommandant die Gemeinden bereits am 25. Juli 1945, ihm kurzfristig Informationen über sämtliche Einzelgrabstätten sowjetischer Soldaten zuzuarbeiten, um ihre Umbettung auf den zentralen städtischen Friedhof zu organisieren. 6 Archiviert wurden auch Aufstellungen über die Standorte von Grabstätten in den einzelnen Gemeinden sowie über die Anzahl der an den jeweiligen Orten bestatteten sowjetischen Bürger. Im März/April 1946 wurden in Umsetzung des Befehls Nr. 89 der SMAD (18. März 1946) die sowjetischen Soldatenfriedhöfe und Einzelgräber in die Zuständigkeit der örtlichen deutschen Behörden übergeben. Dabei erstellte man jeweils ein Übergabeprotokoll, dem als Anhang namentliche Gräberlisten beigefügt wurden, die – wie es hieß – „im städtischen Friedhofsamt sowie im Erfassungsbuch von in Deutschland beerdigten sowjetischen Bürgern und Bürgern der Vereinten Nationen, das bei den Kreismilitärkommandanturen geführt wird, aufzubewahren sind...“7. 1947 hat die Führung der SMAD in Absprache mit Moskau beschlossen, zentrale Friedhöfe „für gefallene Angehörige der Sowjetarmee und Bürger der UdSSR sowie für Armeeangehörige und Bürger der vereinten Nationen“ einzurichten.8 Durch eine Vielzahl von Befehlen und Verfügungen der örtlichen sowjetischen Behörden wurden die Standorte für solche Friedhöfe, die Art und Weise ihrer Gestaltung sowie das Vorgehen bei der Umbettung von Toten, einschließlich der Dokumentation dieser Vorgänge, detailliert festgelegt. Die im Kampf gefallenen sowjetischen Soldaten wurden allerdings von den deutschen Friedhofsverwaltungen bei der Umbettung auf zentrale Friedhöfe oftmals nur als unbekannte – namenlose – Tote registriert, weil von der Roten Armee die Namen der Toten nicht mitgeteilt wurden. So konnte man zum Beispiel bei der Umbettung von 153 Rotarmisten auf den Heldenfriedhof von Bautzen nur 19 von ihnen namentlich benennen. Ob die Namen der anderen bei den Kommandanturen bekannt waren, ist vom heutigen Standpunkt aus schwer zu beurteilen. Tatsache ist, dass es heute in der Regel wesentlich schwieriger ist, die Namen von gefallenen Rotarmisten zu ermitteln als die von Kriegsgefangenen oder Ostarbeitern, da bei den Soldaten der aktiven Armee selbst in den an die Angehörigen versandten Sterbefallanzeigen häufig nur der Todestag und die allgemeine Angabe „in Deutschland gefallen“ vermerkt waren. Ende 1947 (Befehl Nr. 317 vom 25.9.1947) und 1948 beschloss man, in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands noch mehr zentrale Friedhöfe anzulegen. Die damals noch bestehenden Grabstätten in ländlichen Gegenden, die häufig 20 und mehr Gräber umfassten, wurden auf Anweisung der jeweiligen Militärkommandanten der Länder und Provinzen aufgelöst, die Toten exhumiert und auf eigens dafür ausgewiesene Flächen oder Friedhöfe in Kreisstädten umgebettet. Diese Anordnung galt jedoch nicht, wenn es sich bei der Grabstätte um ein Massengrab von Kriegsgefangenen handelte. Insgesamt sank also die Zahl der Friedhöfe. Gleichzeitig wurden erhebliche Gelder bereitgestellt, um die betreffenden Friedhöfe an- sprechend zu gestalten und Ehrenmale zu errichten. Um die Gestaltung der Obelisken wurden in vielen Fällen Gestaltungswettbewerbe ausgelobt, an denen sich namhafte Bildhauer beteiligten. Das betraf in erster Linie die großen Gedenkstätten, wie zum Beispiel den Ehrenhain Zeithain. Bis zur Gründung der DDR im Jahre 1949 war die Gestaltung der Friedhöfe im Wesentlichen abgeschlossen. Nach der Staatsgründung unterzeichnete man ein Abkommen mit der UdSSR, das diesen Grabstätten einen dauerhaften Status verlieh. Sie fielen nicht unter das Gesetz, laut dem ungenutzte Friedhöfe nach 25 Jahren geschlossen werden können. Daher gibt es heute noch auf dem Territorium von Sachsen 248 Grabstätten, in denen insgesamt rund 16 000 sowjetische Bürger ihre letzte Ruhestatt fanden, und darüber hinaus den Ehrenhain Zeithain als größten sowjetischen Friedhof in Sachsen: Hier sind fast 30 000 Sowjetbürger begraben. Archivdokumente belegen, dass es in ausnahmslos allen Ländern und Provinzen Deutschlands Lager für sowjetische Kriegsgefangene gegeben hat und dass Ostarbeiter seinerzeit in jedem beliebigen Bezirk zum Einsatz kamen. Infolge unmenschlicher Arbeits- und Lebensbedingungen, teilweise aber auch zielgerichteter Vernichtung, fanden viele dieser Menschen den Tod auf deutschem Boden, so dass sich heute die Gräber von Hunderttausenden sowjetischen Menschen in allen 16 deutschen Bundesländern finden. Allein die Datenbank der in Gefangenenlagern auf dem Gebiet des Deutschen Reiches verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen umfasste im Mai 2008 mehr als 550 000 Namen. Wir möchten daher der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es mit Unterstützung der entsprechenden Behörden, Institute und gesellschaftlichen Organisationen gelingen möge, diesem Gedenkbuch9 in den kommenden Jahren weitere Bände folgen zu lassen, denn dieses Buch bildet nur einen Ausschnitt ab, ist lediglich eine Momentaufnahme. Dr. Klaus-Dieter Müller, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Projektleiter „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte“, Dresden Dr. Alexander N. Haritonow, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte“, Dresden
Anmerkungen
1 In diesen Beitrag sind Teile des Aufsatzes „Zur Geschichte der Suche nach Vermissten“, erschienen 2003 in dem von Norbert Haase, Alexander Haritonow und Klaus-Dieter Müller in Dresden veröffentlichten Gedenkband „Im Namen der Lebenden. Der Toten gedenken.“, eingegangen.
2 Das Projekt wird finanziell gefördert von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie vom Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Tätigkeit der Gemeinsamen Kommission zur Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen.
3 Muster A und B. Hauptstaatsarchiv Dresden (HSAD), Kreistag/Kreisrat Bautzen Nr. 391, o.S.
4 Schreiben der Polizeiabteilung 10 an den Bürgermeister von Großdubrau vom 6. Februar 1946. Hauptstaatsarchiv Dresden (HSAD), Kreistag/Kreisrat Bautzen Nr. 391, S. 53.
5 Sterbefallnachweis Nr. 23 vom 4. Januar 1946 für die Ostarbeiterin Nadeshda Moissejenko. Hauptstaatsarchiv Dresden (HSAD), Kreistag/Kreisrat Bautzen Nr. 402, S. 57.
6 Mitteilung an alle Gemeinden des Kreises Freiberg vom 25.7.1945. Hauptstaatsarchiv Dresden (HSAD), Kreistag/Kreisrat Freiberg Nr. 382, o.S.
7 Protokoll, Stadt Bautzen, 20. April 1946 (Bundesland Sachsen). Hauptstaatsarchiv Dresden (HSAD), Kreistag/Kreisrat Bautzen Nr. 398, o.S.
8 Verfügung Nr. 317 des Militärkommandanten der Stadt und des Kreises Bautzen vom 25.9.1947. Hauptstaatsarchiv Dresden (HSAD), Kreistag/Kreisrat Bautzen Nr. 400, o.S.
9 Vgl. bereits im Rahmen des genannten Projektes erschienene Publikationen, zum Beispiel: Gedenkbuch verstorbener sowjetischer Kriegsgefangener. Friedhof Hammelburg. Bayern. Kassel 2002 / Im Namen der Lebenden. Der Toten gedenken. Dresden 2003 / Dokumente zur Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges in staatlichen Archiven der Republik Belarus. Dresden–Minsk–Graz 2003 / Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Dresden–Minsk 2004 / Lager für sowjetische Kriegsgefangene in Weißrussland. Minsk 2004 / Zeithain. Gedenkbuch sowjetischer Kriegsgefangener. 2005. Zweite, ergänzte Auflage: Minsk–Dresden 2006 / Kriegsgefangene und Internierte 1939–1956. Beiträge der Internationalen wissenschaftlichen Konferenz vom 2.–4. Juni 2006. Kiew 2008.